Structured Decorum

Bronzegitter für die Ausstellung Plamen Dejanoff: "Planets of Comparison", MUMOK Wien

Mumok, Wien, AT

Entwurf: 2006
Projektdaten

Die Bronze-Struktur „Structured Decorum" versteht sich als Vorgriff auf das Projekt für die geplante Dependance des MUMOK in Veliko Tarnovo und wurde als modulare, selbst tragende Konstruktion aus Elementen in Bronze-Guß entwickelt. An dem Museumsprojekt in der unter Denkmalschutz stehenden Stadt Veliko Tarnovo / Bulgarien, soll sie in der Funktion einer Umschließung des offenen Erdgeschosses zum Einsatz kommen. Als autonome Ausdrucksebene thematisiert die Struktur das klassische, architektonische Thema des Dekorum im Kontext zeitgenössischer Kunst und Architektur und setzt dabei die den Wohnbereich bestimmenden lokalen Traditionen der hölzernen Vertäfelungen, Schrankwände und Gitterwerke in einen öffentlichen, städtischen Maßstab und dauerhaftes Material um. Vor dem Hintergrund der schon im 19. Jahrhundert zwischen Ruskin, Bötticher, Semper und anderen diskutierten Frage, ob Architektur unbekleidet bleiben solle, oder aber ob die Bekleidung eines Gebäudes sei es dessen Tragkonstruktion, sei es ihre Eigengesetzlichkeit als Hülle zum Ausdruck bringen solle, stellt diese freitragende Struktur das alte, bis in zeitgenössische Mehrschichtkonstruktionen nachwirkende Thema zurück auf die Beine, indem die Umhüllung sich selbst trägt, das „Dekorum" des erdachten Baus als „nackte" Tektonik erscheint. Diese Ambivalenz von Struktur und Hülle war übrigens ja auch schon in der Jahrhunderte lang dominanten, islamischen Tradition angelegt, wo derartige Muster sowohl rein ornamental als auch als selbst tragendes handwerkliches Gefüge vorkommen. Wie die Berührung am Holz der Täfelungen und Kästen wird die Witterung an der Bronze der Gitterelemente ihre Spuren hinterlassen.

Die Baustelle beginnt im Museum:

Den Anfang macht die Gratwanderung zwischen Architektur und Kunst einer Hülle, die das zu verhüllende Gebäude vorzeichnet und sich dabei in einem Objekt materialisiert, das (auch) als autonom aufgefasst werden kann (und auch als solches ausgestellt wird). Die Baustelle als öffentlicher Produktionsvorgang beginnt hier als Ausstellung im Museum: Indem das klassische (Architektur)-Thema des Dekorum als (im historischen Zusammenhang vom Dekorum verhüllte und bezeichnete) Struktur kurzgeschlossen wird. Wie an einem Prototyp werden in unterschiedlichen Aufstellungen der Struktur Bedeutungen wie auch materielle, technologische und räumliche Setzungen erprobt. Insbesondere stellt sich der Vorgriff als Versuchsanordnung zu den Erwartungshaltungen gegenüber dem „Sprechen" historischer Architektur dar, die im Denkmalschutz und Tourismus perpetuiert und normiert werden. Zur Diskussion steht nicht die gerade wieder viel diskutierte, ironisierende und nunmehr computerunterstützte „Erfindung" von Ornamenten, sondern Aspekte der kulturellen Kodierung von Innen und Außen ebenso, wie solche der semiotischen oder technologischen Konstitution von Architektur, der Konfrontation zeitgenössischer Kunst mit dem Kontext konservierter historischer Architektur und im Besonderen des Ausstellens und der Präsenz im öffentlichen Raum.

Anonymes und modernes Erbe:

Der UNESCO-Schutz der Altstadt von Veliko Tarnovo stellt hier besondere Herausforderungen, die wir mit Hilfe der Bronze-Struktur als Chance zu nutzen versuchen: so wird von Seiten des bulgarischen Denkmalamtes einerseits eine autonome Planung, noch dazu von Wien aus, sehr skeptisch gesehen. Andererseits fehlen klar definierte Rahmenbedingungen oder Auflagen. Das Bronzegitter soll also zunächst als Katalysator in den Verhandlungen mit dem Denkmalamt dienen, mit dem Ziel sowohl allzu starre Museumstypologien aufzubrechen, als auch neue Möglichkeiten des Kontextbezugs aufzuzeigen. Insbesondere der angedachte Bezug der Struktur zum offenen Erdgeschoß könnte eine Vielfalt von Deutungen zulassen: So hat in Veliko Tarnovo auf seiner Orientreise Le Corbusier nach eigener Aussage das Bandfenster „entdeckt", aber wohl auch die hinter hohen, geschlossenen Hofmauern verborgenen offenen Erdgeschoßstrukturen der traditionellen Häuser vorgefunden, die ihn in Anatolien noch beschäftigen werden. Im Projekt der MUMOK-Dependance werden Transparenz und materielle Präsenz der „aufgelösten Hofmauer" die künstlerischen Interventionen der Herausforderung des Kontexts aussetzen.

Ein erster Schritt zur Initiierung eines Diskussions- und Nachdenkprozesses könnte in diesem Sinn eventuell auch eine freie Aufstellung der Struktur vor Ort sein. Die Tragweite der dadurch angeregten Auseinandersetzung sollte jedenfalls weit über das Projekt der MUMOK-Dependance hinaus für das gesamte von Plamen Dejanoff verfolgte Projekt der „Planets of Comparison", eines Archipels von Kunstinitiativen und dafür gewidmeten Gebäuden in Veliko Tarnovo, einen Weg bahnen.

Für den architektonischen Beitrag dazu heißt modernes Erbe hier auch, jenseits akademischer Formfragen das anonyme Erbe weiter zu denken.